Mitleid - die falsche Basis



Immer wieder melden sich Menschen, die unbedingt einem ganz, ganz armen Hund helfen möchten.
Einem, der sich panisch in die Ecke drückt und gar nicht weiß, wo er mit sich hin soll, wenn man sich ihm nähert.
Einem, der aus Angst unter sich läßt.
Einem, dem so übel mitgespielt wurde, daß nur eine langjährige Psychotherapie den Rest des Lebens einigermaßen erträglich machen kann.

Um einen solchen "Angsthund" zurück ins Leben zu führen braucht man die richtigen örtlichen Gegebenheiten und Zeit, Geduld, Verständnis, Zeit, Geduld, Verständnis und noch mal Zeit, Geduld und Verständnis.
Nichts darf man erwarten.
Absolut NICHTS.

Ein verantwortungsbewußter Vermittler weiß, daß die wenigsten Menschen in Deutschland in der Lage sind, einem solchen Hund das zu geben, was er braucht.
Deshalb versuchen wir gar nicht erst für solche Hunde ein Körbchen in Deutschland zu finden.
Manchen Hunden kann man einfach nicht helfen.
Mitleid ist die falsche Basis.
Aus Mitleid resultiert häufig jahrelanges Leid.
Damit Hund und Mensch über viele Jahre glücklich miteinander leben können, muß es einfach passen.
Wer Tierschutz nicht nur mit Herz, sondern auch mit Hirn betreibt, dem ist das klar.

Doch bei vielen Vermittlern und Organisationen ist die falsche Basis die einzige, die man hat.
Denn man kennt die Hunde nicht persönlich, war nie vor Ort und legt außerdem großen Wert darauf die Vermittlungsquote vom vorigen Jahr zu übertreffen.
Um hinterher sagen zu können: Dieses Jahr haben wir noch mehr Hunde ins sichere Deutschland gerettet.
Egal, ob die Lebensumstände in Deutschland passen oder nicht.
Egal, ob es mit den neuen Menschen paßt oder nicht.
Egal - Hauptsache weg - so hat der Hund wenigstens eine Chance.

Hat er die wirklich?

Nein.

Helene Mumoth und ich haben den typischen Werdegang eines schlecht vermittelten Hundes mal aufschrieben.
Nein, das ist keine erfundene Geschichte.
Nein, das ist kein sehr seltener Ausnahmefall.
Es ist Alltag im Tierschutz.


Frau Mustermann sieht in einem sozialen Netzwerk im Internet ein Foto der Hündin Bella, die in eine Ecke ihres überfüllten Zwingers in einem Tierheim im ehemaligen Ostblock kauert.
Die Hündin tut ihr leid, sie sieht so traurig aus.
Frau Mustermann hat Mitleid.
Gut, daß Frau Mustermann vor einigen Wochen den Tierschutzverein "Rettet-alle-verlorenen-Hundeseelen" gegründet hat, nachdem sie sich mit ihren Strickfreundinnen zerstritten hat.
Mit telepathischer Fähigkeit sieht Frau Mustermann an Hand des Fotos, daß Bella eigentlich ein völlig unkomplizierter, netter, freundlicher Kinderkumpel ist.
Frau Mustermann möchte Bella helfen und startet eine Anfrage über das Internet.

1. Anfrage im Internet: Dringend Pflegestelle für (noch ängstliche) Bella gesucht. Wer hilft ihr in ein neues Leben?

Es meldet sich Frau Hinz oder auch Kunz aus Bayern.
Sie hat Mitleid mit Bella.
Daß sie alleinerziehend ist und 2 kleine Kinder hat ist kein Problem. Sie hat viel Zeit.
Das wird schon klappen.

Super! Entwarnung für Bella!

Bella hat Glück. Sie wird nicht mit einem anderen Hund in einer Gitterbox zusammen gepfercht via Transporter über tausende Kilometer quer durch Europa gekarrt.
Nein, zufällig finden sich Flugpaten und Bella landet in NRW.
Sie muß aber nach Bayern.

2. Anfrage im Internet: Dringend Fahrkette für Bella gesucht.
Die Pflegestelle aus Bayern kann Bella nicht abholen.
Sie hat 2 kleine Kinder und kein Auto.

Es melden sich viele Menschen, die helfen möchten.
Alle haben Mitleid mit Bella.
Bella wird von NRW nach Bayern gefahren.
Alle 100 km wechselt sie das Auto an einer Raststätte.
Immer wieder fremde Menschen, fremde Gerüche, fremde Geräusche…….
Fast wäre Bella an einer Raststätte aus dem Auto gesprungen und abgehauen. Ist gerade noch mal gut gegangen.
(Viel zu oft geht's aber nicht gut.)

Endlich kommt sie in der Pflegestelle an und verkriecht sich schutzsuchend hinter dem Sofa.
Ihre Höhle verläßt sie nur in der Nacht.

Zwei Wochen später meldet sich Frau Hinz oder auch Kunz aus Bayern bei Frau Mustermann.
Bella kann nicht bleiben.
Sie fügt sich nicht ein, pinkelt und kackt ständig in die Wohnung.
Ein unmöglicher Zustand, gesundheitsgefährdend für die kleinen Kinder.
Bella muß weg - sofort.

3. Anfrage im Internet: Super dringend neue Pflegestelle für Bella gesucht.

Es meldet sich Frau Hinz oder auch Kunz aus Schleswig-Holstein.
Sie hat Mitleid mit Bella und sie hat gerade 3 Wochen Urlaub. Und schließlich hatten ihre Eltern einen Hund, als sie Kind war.
Das wird schon klappen.

Super! Entwarnung für Bella!

4. Anfrage im Internet: Fahrkette gesucht von Bayern nach Schleswig-Holstein.

Es melden sich viele Menschen, die helfen möchten.
Alle haben Mitleid mit Bella.
So wird Bella von Bayern nach Schleswig Holstein gefahren.
Alle 100 km wechselt sie das Auto an einer Raststätte.
Immer wieder fremde Menschen, fremde Gerüche, fremde Geräusche…….
Fast wäre Bella an einer Raststätte aus dem Auto gesprungen und abgehauen. Ist gerade noch mal gut gegangen.

Endlich erreicht sie die Pflegestelle und flüchtet sofort unter das Bett.
Die hundeerfahrene, urlaubhabende Pflegestelle krabbelt hinterher und versucht es mit Zwangskuscheln.
Schließlich muß Bella in drei Wochen so weit sein, daß sie ein normales Hundeleben führen kann.

Das klappt natürlich nicht.
Vier Wochen nach der Ankunft meldet sich Frau Hinz oder auch Kunz aus Schleswig-Holstein bei Frau Mustermann.
Der Urlaub ist vorbei und Bella hat nicht gelernt alleine zu bleiben.
Sie randaliert und bellt und jault 10 Stunden lang.
Bella muß weg - sofort.

5. Anfrage im Internet: SOS neue Pflegestelle für Bella gesucht.

Es meldet sich Frau Hinz oder auch Kunz aus Hessen.
Sie hat Mitleid mit Bella.
Schon seit langer Zeit ist sie im Tierschutz aktiv. Wie kompetent sie ist kann man daran ablesen, daß sie zur Zeit 8 Pflegehunde zuhause hat.
Das wird schon klappen.

Super! Entwarnung für Bella!

6. Anfrage im Internet: Fahrkette für Bella von Schleswig-Holstein nach Hessen gesucht.

Es melden sich viele Menschen, die helfen möchten.
Alle haben Mitleid mit Bella.
Bella wird von Schleswig Holstein nach Hessen gefahren.
Alle 100 km wechselt sie das Auto an einer Raststätte.
Immer wieder fremde Menschen, fremde Gerüche, fremde Geräusche…….
Fast wäre Bella an einer Raststätte aus dem Auto gesprungen und abgehauen. Ist gerade noch mal gut gegangen.

Auf der erfahrenen Pflegestelle angekommen gibt es sofort eine Beißerei mit einer anderen Hündin.
Macht nichts, man ist ja vorbereitet.
Ab sofort sitzt Bella alleine im Bad.
Natürlich wird sie Zwangsgekuschelt. Sie muß ja lernen, daß ihr der Mensch nichts tut.
Frau Mustermann ist glücklich.
Endlich jemand, der wirklich weiß, wie man mit Bella umgehen muß.

Vier Wochen später meldet sich Frau Hinz oder auch Kunz aus Hessen bei Frau Mustermann.
Ihr Vermieter setzt ihr die Pistole auf die Brust.
Sie hat zu viele Hunde. Entweder, sie reduziert die Anzahl der Hunde sofort, oder sie verliert die Erdgeschoßwohnung mit kleinem Garten im Sechsparteienhaus am Rande der Innenstadt.
Da Bella so schwierig ist, kann sie nicht bleiben.
Bella muß weg.

7. Anfrage im Internet: SOS super dringend neue Pflegestelle für Bella gesucht.

Es meldet sich der Gnadenhof Hinz oder auch Kunz.
Man hat Mitleid mit Bella und es ist noch Plätzchen frei.
Daß die Hündin mittlerweile um sich schnappt, so bald man sich ihr nähert, ist egal.
Man weiß, was man tut.
Das wird schon klappen.

Super! Entwarnung für Bella!

8. Anfrage im Internet: Fahrkette für Bella von Hessen nach Thüringen gesucht.

Es melden sich viele Menschen, die helfen möchten. Alle haben Mitleid mit Bella.
Bella wird von Hessen nach Thüringen gefahren.
Alle 100 km wechselt sie das Auto an einer Raststätte.
Immer wieder fremde Menschen, fremde Gerüche, fremde Geräusche…….
Diesmal besteht nicht die Gefahr, daß Bella abhauen kann.
Sie ist mittlerweile so verstört, daß sie nur noch in einer Box transportiert werden kann und jedes Mal knurrt, wenn jemand sich der Box nähert.

Bella kommt auf dem Gnadenhof an.
Man hört nichts mehr von ihr.
Frau Mustermann atmet durch.
Das wäre geschafft.

Ein halbes Jahr später liest man eine Meldung in der Tageszeitung. Animal Hoarding Fall.
Angeblicher Gnadenhof wird geschlossen.
Alle Tiere wurden beschlagnahmt und auf die umliegenden Tierheime verteilt.

Bella sitzt wieder hinter Gittern, zusammengekauert in einer Ecke.
Jeden Mensch, der sich ihr nähert, greift sie an.
Der Tierarzt wurde einbestellt, um diesen gefährlichen Hund zu töten.


So etwas wird es bei Körbchen gesucht NIEMALS geben.
Versprochen.